Es gibt Leute, die für die Schanze immer die gleichen engstirnigen Begriffe parat haben: Die Schanze wäre schmutzig, „assi“, laut, abgewrackt und sowieso würden da ja nur linksextreme Hardcore-Antifaschisten wohnen. Wisst ihr, manchmal bin ich ein bisschen froh, dass solche Leute so denken – denn für ebendiese Charaktere ist die Schanze einfach NICHT gemacht!
Obdachlosigkeit spielt in allen Großstädten eine Rolle. Dass Passanten einfach an betrunkenen, auf der Straße liegenden Obdachlosen vorbeigehen, ist auch keine Seltenheit. Immerhin sind die ja „selbst schuld“ an ihrer Situation. Ich bin ein Gutmensch. Manchmal mehr, als mir lieb ist, aber wenn ich einen Mann sehe, der sich kaum noch auf den Füßen halten kann und an der Feldstraße entlangschwankt, wobei er fast auf die Straße fällt, dann frage ich ihn, wo er hin will und ob ich ihm helfen kann. Oft habe ich dafür auch schon angeekelte, teils irritierte Blicke geerntet. Mit viel gutem Willen kann ich diese Leute auch verstehen, die sich die teuren Anzüge und Kostümchen nicht schmutzig machen wollen, und leider gewöhnt man sich allgemein schnell an diese herzlose Haltung der Gesellschaft. Der Mann an der Feldstraße wollte meine Hilfe nicht, setzte sich auf den Boden und versuchte, etwas nüchterner im Kopf zu werden. Ich bin schließlich zur Bushaltestelle über die Straße weitergegangen, habe ihn aber weiter im Blick behalten. Sein Zustand war wirklich grenzwertig und ich war ziemlich besorgt, dass er sich demnächst einfach auf die Kreuzung rollen würde.
Was dann folgte, ist einerseits traurig, andererseits unglaublich schön: In den zehn Minuten, die ich dort auf meinen Bus gewartet habe, hielten fünf (!!) Leute an, Frauen wie Männer, die den Herrn gefragt haben, ob er Hilfe brauche, versucht haben, ihn auf die Beine zu ziehen (was leider nicht klappte, der Pegel war wirklich schon zu hoch) und dann hilflos weiter ihres Weges gingen, aber nicht, ohne sich noch ein paar Mal nach ihm umzudrehen. Warum ich das traurig und gleichzeitig schön finde: Schön, weil es mich so positiv überrascht hat, dass es doch noch so viele hilfsbereite Menschen gibt. Aber auch traurig, einfach, WEIL diese Tatsache mich so überrascht hat, wo Nächstenliebe doch eigentlich seit Jahrtausenden gepredigt wird.
Wir haben uns an die Kälte und Ignoranz unserer Gesellschaft gewöhnt, und das ist und kann auch nie gut sein. Wir Gutmenschen sind positiv überrascht, wenn es außer uns noch andere Leute gibt, die ohne zu fragen und aufzumucken ihren Sitzplatz im Bus für eine Omi, eine Frau mit Kinderwagen oder einen Herrn mit Krücke frei machen. Wir freuen uns, dass uns dieser Typ im Bus einfach nett anlächelt – obwohl viele vielleicht sofort denken: ist da vielleicht irgendwas Ekliges in meinem Gesicht, oder warum grinst der so? Wir lächeln zufrieden, wenn wir jemanden am anderen Ende des Busses sehen, der sich, genervt von all den Leuten, die sich keinen Zentimeter bewegen, durch die Menge drückt und die Einstiegshilfe für den draußen wartenden Rollstuhlfahrer ausklappt.
Solche positiven Erfahrungen mache ich verhältnismäßig oft nur in der Schanze. Und darum habe ich sie und die Leute, die hier leben, einfach lieb. Ich mag unseren Stadtteil, der noch nicht ganz von gefühlloser Kälte eingenommen ist. Aber ganz ohne Pointe kommt mein Text leider nicht aus: Wir freuen uns darüber – obwohl wir Gutmenschen eigentlich kollektiv unglaublich wütend werden sollten, dass all diese Dinge eben nicht mehr selbstverständlich sind.
Bild: Na Dine